Der kontrollierte Alkoholausschank hat sich bewährt

Soll eine Institution mit alkoholkranken Bewohnerinnen und Bewohnern Alkohol ausschenken? Vor dieser delikaten Frage stand Schloss Herdern Anfang der Neunzigerjahre. Nach gut 20 Jahren mit kontrolliertem Alkoholausschank zeichnet die Institution ein durchwegs positives Bild: Die Exzesse haben abgenommen und der soziale Zusammenhalt unter den Bewohnerinnen und Bewohnern ist stärker geworden.

Nach vielen Jahrzehnten des ewigen Kampfes gegen den Alkohol schlug Schloss Herdern im Jahre 1996 einen neuen Weg ein: Anstelle des Alkoholverbotes startete man einen Versuch mit kontrolliertem Alkoholausschank innerhalb der Institution. Mit beeinflusst hatten diesen Systemwandel sicherlich die dauernden alkoholbedingten Zwischenfälle und die Missachtung der Hausregeln.

Der Betrieb der heiminternen «Beiz» sollte folgenden Zielsetzungen folgen:

  • Reduktion des nicht gestatteten Alkoholkonsums in den Zimmern
  • Verminderung von Alkoholmissbrauch und Berauschungsfällen an Wochenenden
  • Förderung der aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Sucht
  • Förderung der sozialen Kontakte zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern anstatt Rückzug ins eigene Zimmer
  • Förderung von Selbständigkeit und Selbstbestimmung

Langfristig ein tragbares Leben ermöglichen

Die Frage, ob innerhalb einer sozial geführten Institution kontrolliert getrunken werden darf, lasse sich unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten, so unser Psychiater Markus Huber. «Eine abstinent geführte Institution wäre eher dazu disponiert, rehabilitativ zu wirken. Der Grund: Die meisten Menschen mit Alkoholproblemen können erfahrungsgemäss nur ganz abstinent leben.» Da Schloss Herdern jetzt kontrolliertes Trinken ermögliche, definiere sich die Institution tendenziell anders: nämlich in Richtung eines Wohnheimes für Menschen, die lange in Heimen wohnen müssen. «Es geht dabei darum, diesen Menschen ein tragbares Leben zu ermöglichen trotz ihrer Alkoholabhängigkeit.» In diesem Kontext erweise es sich oft als günstiger, kontrolliertes Trinken innerhalb der Institution anzubieten, hält Huber fest.

Im Beizli entstehen soziale Kontakte

Eine eindeutig positive Wirkung ergibt sich auf der Ebene der Sozialkontakte unter den Bewohnerinnen und Bewohnern. Bekanntlich ist Schloss Herdern tendenziell ausgerichtet auf Menschen, die gerne ihre Privatsphäre pflegen und möglichst wenige Lebensbereiche mit dem Kollektiv teilen. Dadurch bietet «Herdern» vielen tendenziell einzelgängerischen Menschen sehr gute Lebens- und Überlebensmöglichkeiten. Immer wieder übernimmt Schloss Herdern Menschen, die in anderen Institutionen als sehr schwierig galten und die sich dann hier erstaunlich gut zurechtfinden.

 Text Edwin Bosshard